Reflexe #7

27.09.2024

Reflexe #7

Demokratische Republikaner gegen republikanische Demokraten?

Die Kolumnenreihe mit Jörg Phil Friedrich

Demokratische Republikaner gegen republikanische Demokraten?

Demokratie ist kein Mechanismus, um die besten und selbstlosesten politischen Köpfe an die Macht zu bringen, Demokratie sorgt dafür, dass die Leute bereit sind, die Ergebnisse ihrer Wahlentscheidungen wenigstens bis zur nächsten Wahl zu akzeptieren. Deshalb ist es keine gute Idee, für das Ziel der Verhinderung eines schlechten Kandidaten die Demokratie zu schleifen.

Man muss nicht dem leicht durchschaubaren Gerede der amerikanischen republikanischen Wahlkämpfer von Verschwörungen, Hinterzimmerentscheidungen und Strippenziehern folgen, von angeblich mächtigen Leuten im Hintergrund und Marionetten auf der Bühne, um zu erkennen, dass die Nominierung der demokratischen Präsidentschaftskandidatin mit Demokratie nicht viel zu tun hat. Demokratie als Entscheidungsverfahren des Demos in wichtigen politischen Richtungsentscheidungen findet ja nicht nur dadurch statt, dass die Bürger am Wahltag eine Auswahl unter vorgegebenen Kandidaten treffen. Demokratisch wäre es zu nennen, wenn sie auch darüber entscheiden könnten, wer überhaupt zur Wahl steht. In modernen Großgesellschaften ist das zwar immer nur begrenzt möglich, aber es sollte, wenn eine politische Klasse darauf besteht, demokratisch legitimiert zu sein, so weit wie möglich realisiert werden.

Wer kann sinnvoll kandidieren?

Für die Kandidatenauswahl der Republikaner ist das, wenn auch in begrenztem Umfang, geschehen. Alle möglichen Leute konnten sich in den Vorwahlen als Präsidentschaftskandidaten bewerben und sich als Person und ihre politischen Vorstellungen präsentieren. Selbstverständlich ist auch dieser Prozess von einer Chancengleichheit, die man für eine Demokratie fordern müsste, weit entfernt. Politische Vernetzung, Bekanntheit in den Medien und nicht zuletzt finanzielle Möglichkeiten und ökonomisch starke Unterstützer machen den Unterschied. Das soll hier beiseitegelassen werden , auch wenn diese Unterschiede schon darauf hinweisen, dass der politische Prozess im Mutterland der Demokratie nur wenig demokratisch genannt werden kann. Aber wenigstens gab es eine Auswahl unter ganz verschiedenen Kandidaten, und es war keineswegs von Anfang an ausgemacht, dass sich die Wähler für Trump entscheiden würden.

Ganz anders sieht es nun bei den Demokraten aus. Schon die Bestimmung von Biden als Kandidat war kaum demokratisch zu nennen, und das nicht, weil es irgendwelche Absprachen in Hinterzimmern gab, auch wenn natürlich auch Absprachen eine Rolle gespielt haben dürften.

Um die politische Chancengleichheit, die für eine moderne Demokratie wenigstens anzustreben wäre, zu wahren, wäre aber anders wichtiger. Und da liegt vieles im Argen, nicht nur in den USA, wo es aber besonders markant sichtbar wird. Da ist zunächst die mediale Aufmerksamkeit, die der Amtsinhaber bekommt. Sie vergrößert die Möglichkeiten der Selbstdarstellung eines Kandidaten asymmetrisch auf Kosten aller anderen. Man muss ein finanzstarker Medienprofi mit einem zugleich extrem auffallenden eigenen Profil wie Trump sein, um dem etwas entgegensetzen zu können, eine Person, die es bei den Demokraten nicht gibt.

Das monarchische Prinzip der Republik

Dazu kommt, dass in der politischen Klasse in allen Gesellschaften, die demokratisch genannt werden aber eher als funktionierende Republiken zu bezeichnen wären, die selbstverständliche Überzeugung etabliert ist, dass der Amtsinhaber innerhalb einer Partei ein Vorrecht auf das Spitzenamt habe. Diesem Mythos folgen die Parteistrukturen, die Führungsleute in den Parteien, die Medien und das Publikum gleichermaßen. Überall erwartet man, dass die zweite und dritte Reihe der Funktionärsschicht der Spitzenperson gegenüber loyal sein müsse und diesem ein Vorrecht auf den Erhalt seiner Führungsposition gebühre – ein Prinzip, das eher monarchisch als demokratisch zu nennen wäre.

Das alles haben wiederum potenzielle Alternativkandidaten im Blick, wenn sie erwägen, sich gegen den amtierenden Präsidenten in Stellung zu bringen. Sie kalkulieren vorab ihre Chancen auf einen Sieg und das Risiko, sich auf Dauer alle Möglichkeiten des politischen Aufstiegs zu verbauen. Das führt dazu, dass es oft keine ernsthaften Alternativen für diejenigen gibt, die als Demos eine Auswahl haben wollen.

Demokratie ist kein Mechanismus, um die besten und selbstlosesten politischen Köpfe an die Macht zu bringen.

Jörg Phil Friedrich

Freie Delegierte oder Parteisoldaten?

War also schon die Festlegung der Demokraten auf Joseph Biden kein demokratischer Prozess, so ist es die derzeitig stattfindende Festlegung auf Kamala Harris noch weniger. Es ist tatsächlich eine Entscheidung, die faktisch von einer kleinen Gruppe einflussreicher Parteifunktionäre zwar nicht getroffen, aber doch mit nahezu sicheren Erfolgschancen herbeigeführt wird, auch wenn auf dem Nominierungsparteitag jeder einzelne Delegierte in seiner Wahlentscheidung frei ist. Das ergibt sich bereits aus den oben beschriebenen Prozessen: Medial ist schon heute nur noch die Vizepräsidentin sichtbar. Alle, die womöglich als Kandidaten in Frage kämen, stellen sich die Frage, welche Chancen wenigstens auf einen Achtungserfolg ihre Kandidatur hätte. Vor allem aber: durch einen massiven Druck von Seiten der Funktionärsschicht wird die Überzeugung aufgebaut, dass es nur eine Kandidatin geben kann, dass es sogar notwendig wäre für den Erfolg, dass man sich heute schon faktisch auf Harris festlegt.

Um es noch einmal zu betonen: hier muss kein geheimes Netzwerk aktiv sein, das fein abgestimmt die Fäden zieht. Es reicht vollkommen, dass jeder entsprechend seiner Überzeugungen hinsichtlich der Funktionsprinzipien der Politik handelt. Dazu gehört, dass man die Delegierten des Parteitags, die ja als Repräsentanten des Demos am ehesten für eine halbwegs demokratische Entscheidung stehen könnten, als leicht zu beeinflussende Parteisoldaten auffasst, denen man durch den Überzeugungsdruck der Führungsschicht und durch die Medien die feste Meinung einpflanzen kann, es käme für den Sieg gegen Trump auf Geschlossenheit an und Wettbewerb in den eigenen Reihen würde nur dem politischen Gegner nützen. Carl Schmidt, der das Wesen des Politischen bekanntlich in der erfolgreichen Unterscheidung zwischen Freund und Feind sah, würde sich betätigt finden. Aber der hatte auch nicht die Sicherung demokratischer Prinzipien im Sinn, wenn er an erfolgreiche Politik dachte.

Es mag sein, dass es für den Sieg über Trump tatsächlich hilfreich ist, das Wirken demokratischer Mechanismen zurückzustellen. Diese machtpolitische Denkweise findet man allerdings nicht nur in den USA und nicht nur bei zugespitzten Personenwahlen. Sie stellt vielleicht die Existenz der verfassungsmäßigen Institutionen der modernen Republik sicher, aber sie schmälert die Lebenskraft der Demokratie. Dass diejenigen, die heute auch hierzulande die Verhinderung von Trump als Präsident erhoffen, behaupten damit die Demokratie zu schützen, ist bedenklich. Geschützt werden die Institutionen der Republik, allerdings auf Kosten der Demokratie, die sie eigentlich sichern sollen

Jörg Phil Friedrich

Von Jörg Phil Friedrich erschien bei Alber Der plausible Gott und Ist Wissenschaft, was Wissen schafft?. Er schreibt regelmäßig philosophische Kurzessays und Rezensionen, u.a. in der Wochenzeitung Der Freitag und in der Tageszeitung WELT sowie in human, dem neuen Magazin für Intelligenz und Zukunft.

Die Kolumne

In seiner Kolumne Reflexe gibt er hier monatlich Anregungen zur philosophischen Reflexion geben, die auf alltäglichen, politischen oder gesellschaftlichen Erfahrungen beruhen.