Philosophie im Umbruch

05.01.2024

Philosophie im Umbruch

Peter Strasser über die Krise der Geisteswissenschaften

Unser Autor Peter Strasser ist ein kritischer Beobachter der Philosophie und der Geisteswissenschaften. In einem Interview mit dem Verlag Karl Alber spricht er über die aktuellen Tendenzen in diesen Disziplinen. Er sieht eine Epoche des christlichen, aufgeklärten, humanistischen Westens zu Ende gehen. Die Reglementierung der Leistungsnachweise führe zur Gleichschaltung des Denkens. Auch die populärwissenschaftliche Kultur sei von einem Verflachen und Seichtwerden geprägt.

Sehen Sie neue Tendenzen in der Philosophie, den Geisteswissenschaften?

Für andere Kontinente und Kulturen kann ich nicht sprechen. Ich fürchte, dass bei uns, im christlichen, aufgeklärten, humanistischen Westen eine Epoche zu Ende geht. Überlegen Sie nur: Könnten sich heute – um zwei prominente Beispiele zu nennen – Heidegger oder Wittgenstein an unseren Universitäten habilitieren? Wohl eher nicht. Die Reglementierung der Leistungsnachweise hat längst die Originalität des Denkens auf ein Mindestmaß heruntergeschraubt. Im Projektbetrieb ist die Beherrschung eingeschliffener Begriffe erforderlich, die vor allem eines sollen: den Gutachtern leicht erkennbar zu machen, dass es um eine Denksache geht, die den Stempel „exzellent“ verdient. Dabei bleibt natürlich das Meiste auf der Strecke, was nicht ins Schema der Exzellenz passt. Mit einem Wort: Es herrscht trotz der Vielfalt an Themen ein Druck zur Gleichschaltung des Denkens. Wo diese professionell gehandhabt wird, vergrößert sich die Chance, nicht aus dem System zu kippen.

Aber erleben wir nicht gerade heute eine vordem kaum gekannte Diskussionskultur? Und ist es nicht der Fall, dass außerhalb des im engeren Sinne wissenschaftlichen Betriebs eine reichhaltige populärwissenschaftliche Kultur entsteht, die zwar nicht hochabstrakt argumentiert, aber sich dafür lebensnahen Themen widmet?

Da ich immer wieder Werke rezensiere, die diesem Genre angehören, bin ich zwar einerseits beeindruckt von der Eloquenz der Darstellung und dem Faktenreichtum, der sich heute um eine möglichst große Leserschaft bemüht. Aber zugleich bin ich doch enttäuscht darüber, wie sehr das großtheoretische Anliegen und der gedankliche Tiefgang einem Fleckerlteppich an leicht aufnehmbaren Gedanken zu Allerweltsthemen geopfert werden. Und „geopfert“ ist gar nicht das richtige Wort. Denn das Verflachen und das Seichtwerden der geistigen Belange gehorchen einem marktregulatorischen Überraschungsimperativ. Heute scheint das Höchstmaß an geistigem Höhenflug erreicht, wenn einer der wirklich originellen Denker unserer Zeit behauptet, wer niemals die Farbe „Grau“ bedacht habe, der sei kein Philosoph. Und so etwas, nachdem bereits Loriot in „Ödipussi“, 1988, seinen Stoffverköufer sagen ließ: „Da haben Sie 28 Grautöne in jeder Qualität, da werden Sie bestimmt zufrieden sein: Mausgrau, Staubgrau, Aschgrau, Steingrau, Bleigrau, Zementgrau …“!

Vielleicht ist ja die Zeit der philosophischen Großtheorien vorbei? Sind wir nicht schon lange ans Ende der metaphysischen Entwürfe gekommen, die alles aus einem oder mehreren gedanklich zu bestimmenden Grundprinzipien ableiten wollten? Auch in Ihren eigenen Schriften ist ja ein zögerliches Umkreisen der heißen Eisen – hierzulande weithin erkaltet – wie beispielsweise Teleologie, Gott, Eschatologie oder das wahre Gute und Schöne zu bemerken …

Das ist wohl wahr.

… und sie müssen es sich gefallen lassen, als alter weißer Mann etikettiert zu werden, der im Übrigen gut daran tut, den Vorgaben der politischen Korrektheit zu entsprechen.

Ja, man kann sich diesem Zwang nicht ganz entwinden, aber ich bemerke in meiner Kollegenschaft auch eine ungehörige Portion Anpassungsbereitschaft, welche kein Ausdruck innerer Überzeugung ist. Und dabei geht es weniger um Fragen des Genderns oder Cancelns, die moralisch alle etwas für sich haben mögen, sondern um den geistigen Habitus, der hier, in Befolgung der PC-Normen, mitgeformt wird: eine Mischung aus Ängstlichkeit und Opportunismus, die nur deshalb nicht gleich sichtbar wird, weil man stets eifrig nach jener Seite Ausschau hält, die gerade über die „woke“ Definitionsmacht verfügt. Philosophieren aber hieße, gegen den Strich des bloß äußerlich Korrekten jener Art von Wahrheit treu bleiben, die das Gehäuse der sich immer mehr verdichteten Immanenz aufsprengt.

Strasser fordert eine Rückkehr zu den großen philosophischen Fragen. Philosophieren bedeute, gegen den Strich des bloß äußerlich Korrekten jener Art von Wahrheit treu zu bleiben, die das Gehäuse der sich immer mehr verdichteten Immanenz aufsprengt.

Es herrscht trotz der Vielfalt an Themen ein Druck zur Gleichschaltung des Denkens.

Peter Strasser , Österreichischer Philosoph