Prof. Dr. Barbara Neymeyr zeigt in ihrem Buch die Problematik der Kant-Kritik von Schiller, Schopenhauer und Nietzsche
Im Gespräch mit dem Verlag Karl Alber gibt Prof. Dr. Barbara Neymeyr Einblicke in ihre Forschung zu Schillers Moralästhetik und deren Verhältnis zu Kants Ethik. Neymeyr rückt dabei gängige Annahmen über Schillers Position ins rechte Licht und zeigt auf, wie diese in der philosophischen Tradition oft missverstanden wurde. Ihr Buch „Schillers Moralästhetik als verfehlte Kant-Kritik und die Kalokagathia-Idee“ entlarvt die vermeintliche Alternative zu Kants Pflichtethik als problematisch und beleuchtet die markanten Unterschiede zwischen beiden Konzepten.
Inwiefern wurde Schillers Moralästhetik in der philosophischen Tradition und sogar noch in der neueren Forschung bisher als moderatere Alternative zu Kants Pflichtethik angesehen?
Insofern, als man der Kantischen Pflichtethik zu Unrecht einen Moralrigorismus unterstellte und Schillers Konzept der ‚Tugend‘ als ‚Neigung zu der Pflicht‘ irrtümlich als wichtigen Fortschritt Schillers über Kant hinaus ansah. Durch systematische Analysen lässt sich diese oft vertretene Position aber widerlegen – zugunsten Kants. Im Buch setze ich mich auch mit Schopenhauer und Nietzsche kritisch auseinander, weil beide analog zur Kant-Kritik Schillers argumentierten. Obwohl das Harmonie-Ideal von Schillers Tugendbegriff wie eine Relativierung des Kantischen Pflichtprinzips durch einen moderateren Gegenentwurf erscheint, impliziert sein Postulat eines ‚moralisch schönen Handelns‘ bei genauerer Betrachtung sogar eine Radikalisierung der Anforderungen an Moralität. Zudem enthält Schillers Konzeption von ‚Anmut‘ und ‚Würde‘ aufschlussreiche Inkonsistenzen, deren Ursache im Buch eruiert wird. Mit dem Ethos der ‚schönen Seele‘ folgt Schiller dem antiken Ideal der ‚Kalokagathia‘ und der ‚moral-sense‘-Philosophie Shaftesburys, entfernt sich dadurch aber weit von Kant.
Welche Erkenntnis oder welches Lieblingszitat möchten Sie Ihrer Leserschaft für das Kantjahr 2024 mitgeben?
„Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“
(Kant: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?)
Durch systematische Analysen und eine kulturhistorische Horizontbildung zeigt Prof. Dr. Barbara Neymeyr in ihrem Buch, inwiefern sich Schillers Moralästhetik nicht nur als verfehlte Kant-Kritik erweist, sondern auch, wie weit sich sein Konzept von Kants Ethik entfernt. Diese Erkenntnisse bieten einen neuen Blick auf die philosophische Tradition und regen dazu an, über die vermeintlichen Alternativen zur Pflichtethik nachzudenken. Mit ihrem Werk liefert Neymeyr einen wertvollen Beitrag für das Kantjahr 2024 und darüber hinaus.